2025 Heft 3: Eine Institution stellt sich vor

Christina Kühnemund

Referat für Altenhilfe der Stadt Kassel

Einleitung

Wir leben in einer Gesellschaft des langen Lebens, in der die Gestaltung der demografischen, sozialen und ökologischen Transformationsprozesse eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Da Städte und Gemeinden als Orte des »Lebens und Wohnens« zuerst und in besonderer Weise von Auswirkungen dieser Prozesse betroffen sind bzw. diese sich dort konkretisieren, ist der Gestaltungs- und Handlungsbedarf insbesondere eine kommunale Herausforderung (vgl. u.a. BMFSFJ 2016; 2025). Die konkrete Ausgestaltung und Umsetzung des Wohlfahrtsmixes (vgl. u.a. Evers 2022) in den komplexen Handlungsfeldern Altenhilfe und Pflege, inklusive der Bereitstellung von (Unterstützungs- und Versorgungs-)Angeboten sowie sozialen Diensten vor Ort, fällt dabei bundesweit in den einzelnen Kommunen sehr unterschiedlich aus.

Exemplarisch für eine der Theorie-Praxis-Kooperationen des Referats für Altenhilfe der Stadt Kassel wird im Folgenden zuerst ein kurzer Blick zurück auf Entstehungs- und Entwicklungslinien sowie damalige Verknüpfungen mit der Sozialen Gerontologie an der Universität Kassel geworfen. Anschließend wird das aktuelle Profil des Referats für Altenhilfe vorgestellt.

Angewandte Soziale Gerontologie – Entstehungs- und Entwicklungslinien der Kasseler Altenhilfeplanung und des Referats für Altenhilfe

Blickt man zurück, lässt sich in der Stadt Kassel und an der hiesigen Universität eine jahrzehntelange gerontologische Traditionslinie nachzeichnen. Diese Beschäftigung mit Alter(n)sthemen basiert insbesondere auf dem 1976 an der damaligen Gesamthochschule Kassel etablierten Forschungsschwerpunkt, den damit verbundenen anwendungsbezogenen (Forschungs-)Projekten sowie der angewandten Praxis (vgl. u.a. Karl 1999). Aus universitärer Sicht war damals die Kasseler Soziale Gerontologie im deutschsprachigen Raum in mehrfacher Hinsicht »ein Vorreiter, mit der ersten interdisziplinären Forschergruppe für angewandte Gerontologie, der ersten Universitätsprofessur für Soziale Gerontologie, dem ersten berufsbegleitenden Aufbaustudiengang und dem stetigen Bemühen, Theorie und Praxis zu verschränken« (Karl o.J.).

Vergleichsweise früh setzte man sich in Kassel mit dem Thema des demografischen Wandels auseinander. Im Januar 1976 wurde hier einer der ersten Seniorenbeiräte bundesweit als Vertretung aller über 60-jährigen Bürgerinnen und Bürger gegründet (vgl. Engel 1981). Bereits vor 50 Jahren wurden aufgrund des hohen Anteils älterer Menschen, der erheblich über dem Landes- und Bundesdurchschnitt lag, und der besonderen Bevölkerungsstruktur Kassels »besondere Verpflichtungen für alle Institutionen der tätigen Altenhilfe/Altenarbeit« (ebd., 17) gesehen. Der Kommune falle »dabei insbesondere die Aufgabe zu, ein Instrument für Koordination und Kooperation zu entwickeln.« (ebd., 18). Die Stelle eines »Altenreferenten« für die kommunale Seniorenarbeit und die Etablierung des Referats für Altenhilfe der Stadt Kassel wurde Mitte der 1970er Jahre als Stabsstelle beim Sozialdezernenten angesiedelt. Der erste Entwicklungsplan »Ältere Menschen in Kassel« wurde als Teil der sozialen Fachplanung im Rahmen der Stadtentwicklungsplanung vorgelegt und am 19. Januar 1981 einstimmig von der Stadtverordnetenversammlung verabschiedet (vgl. Engel 1981). Der Magistrat wurde beauftragt, Maßnahmenprogramme auf Grundlage dieser Rahmenplanung zu entwickeln.

»[A]n der vergleichsweise frühen Etablierung der Altenhilfeplanung in Kassel [mag es] liegen, dass sie nie auf ›Pflegeinfrastrukturplanung‹ verkürzt wurde. Vielmehr konnten in Erfüllung von §75 BSHG [Anmerkung CK: heutiger §71 SGB XII] eine Reihe von Planungen im Bereich der offenen Altenarbeit entwickelt, mit kommunalen Haushaltsmitteln ausgestattet und (weitgehend in Kooperation mit freien Trägern) umgesetzt werden« (Trilling 2004, 319).

Im Hinblick auf das Thema Zusammenarbeit der Stadt(-verwaltung) mit dem Bereich Wissenschaft und Forschung kann auf eine lange, bis heute etablierte Kooperations- und Traditionslinie zurückgeblickt werden: »Praxisforschung – zumal im Altenhilfebereich – ist in Kassel keine unbekannte Größe. Die Stadt hat sich […] an einer Reihe von Modellvorhaben beteiligt bzw. diese unterstützt« (ebd., 315).

Das Referat für Altenhilfe und Alter(n)splanung heute – Wege zu einer alter(n)sfreundlichen Kommune

Seit 1. Januar 2019 ist das Referat für Altenhilfe organisatorisch als eines von zwei Sachgebieten der seit November 2018 bestehenden Abteilung Sozialplanung des Sozialamtes der Stadt Kassel zugeordnet. Zu den Aufgabenbereichen zählen (vgl. Magistrat der Stadt Kassel 2023; 2024):

–      Entwicklung und Fortschreibung der kommunalen Altenhilfeplanung;

–      Entwicklung, Planung, Koordinierung, Moderation und/oder Durchführung von Projekten (bspw. mit Kooperationspartnern das Projekt »GRIPS – Kompetent im Alter«);

–      Fachberatung, Netzwerkarbeit und Berichterstattung (bspw. an die städtischen Gremien);

–      Information und Beratung durch

–      die Beratungsstelle ÄLTER WERDEN der Stadt Kassel und

–      den Pflegestützpunkt Stadt Kassel;

–      »Neugierig und aktiv bleiben! Veranstaltungsprogramm für Menschen ab 60 Jahren«;

–      Koordinierungs- und Servicestelle des Demenz-Netzwerks Stadt Kassel.

Im Kontext der Kasseler Kommunalen Altenhilfe wurde und wird weiterhin eine Vielzahl an Maßnahmen ausgebaut, neu- oder weiterentwickelt und hinsichtlich der zukünftigen Bedarfe, resp. der Versorgungs- und Unterstützungsstrukturen, evaluiert (vgl. ebd.). Dies erfolgt unter Berücksichtigung des Standes der jeweiligen Fachdiskussionen und analog der gesetzlichen sowie kommunalpolitischen Vorgaben. Den Rahmen bietet die gesetzliche Verankerung in §71 SGB XII Altenhilfe. Diese ist auch als eine Aufgabe im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge nach Artikel 2 GG zu verorten, obgleich dafür der Ermessensspielraum groß ist (vgl. Bieritz-Harder et al. 2024).

Die Stadt Kassel fördert seit vielen Jahren Maßnahmen der Kommunalen Altenhilfe, die durch freie Träger umgesetzt werden. Insgesamt fünf der in der Stadt heute noch vorhandenen Angebote lassen sich auf die im Jahr 1990 mit Einzelkonzeptionen geschaffenen vier »Stadtteilorientierten Dienstleistungszentren für Ältere« zurückführen. Im Hinblick auf Teilhabe und Begegnungsmöglichkeiten sowie die Erschließung und Nutzung von sozialen Orten werden strukturell – im Sinne von Oldenburg (1999) – auch »dritte Orte« fokussiert. Diese sollen bei Planungen und Entwicklungen perspektivisch noch stärker mitgedacht bzw. bedarfsgerecht einbezogen werden, um auch zukünftig der Heterogenität des Alter(n)s Rechnung zu tragen. Inzwischen existiert in der Stadt für die Zielgruppen »ältere Menschen« durch den Ausbau unterschiedlicher dezentraler und niedrigschwelliger Angebote, die sozialräumlich und teils auch generationsübergreifend ausgerichtet sind, ein vielfältiges, quartiersbezogenes Angebot an Stadtteiltreffs und/oder weiteren »sozialen Knotenpunkten«.

Das Referat für Altenhilfe ist an zahlreichen internen und externen Arbeitskreisen/-gruppen und stadt-/stadtteilbezogenen, regionalen und überregionalen Netzwerkstrukturen und auch Fachbeiräten (bspw. der ambulant betreuten Demenz-Wohngemeinschaften) beteiligt.

Beratungsstelle ÄLTER WERDEN der Stadt Kassel

Zu den Aufgaben der Beratungsstelle ÄLTER WERDEN (im Folgenden: BÄW), die als kommunales Angebot im Jahr 2000 etabliert wurde, gehören die trägerneutrale, umfassende und individuelle Information, Auskunft und Beratung älterer Menschen sowie ihrer An- und Zugehörigen in allen Fragen rund ums Älterwerden.

Seit Herbst 2020 ist die BÄW sozialräumlich organisiert; so können bspw. Erkenntnisse aus der Beratungsarbeit in die Altenhilfeplanung und Weiterentwicklung der sozialen Infrastruktur einfließen. Mit »Beratungsstelle ÄLTER WERDEN vor Ort« existiert an zwei Standorten im Stadtgebiet ein dezentrales Beratungsangebot. Das zugehende Angebot eines »Präventiven Hausbesuches« wird seit Juli 2023 – im Rahmen einer Pilotphase in derzeit sieben ausgewählten Stadtteilen – Bürgerinnen und Bürgern offeriert, die im jeweiligen Kalenderjahr 77 Jahre alt werden. Es handelt sich um ein kostenloses, vertrauliches und freiwilliges Angebot, das sukzessive auf das gesamte Stadtgebiet ausgeweitet werden soll. Insbesondere mit diesen dezentralen, zugehenden Beratungsformaten werden u.a. niedrigschwellige Zugänge genutzt und perspektivisch weiter ausgebaut.

Das Projekt »Interkulturelle Pflegelotsinnen und -lotsen« und Erzählcafé-Veranstaltungen, in Kooperation mit dem Kasseler Stadtmuseum, werden durch die BÄW verantwortet.

Pflegestützpunkt Stadt Kassel

Die Aufgabe des in gemeinsamer Trägerschaft mit der Knappschaft Bahn-See seit 2011 betriebenen Pflegestützpunktes Stadt Kassel (PSP) ist die trägerneutrale, umfassende und kostenlose Information, Auskunft und Beratung bei Fragen rund um die Themen Pflege und Versorgung. Menschen mit Unterstützungs- und Pflegebedarf und mit Behinderung – unabhängig vom Alter der Ratsuchenden – sowie deren An- und Zugehörige werden bspw. durch den PSP beim Finden des passenden Angebotes unterstützt. Der PSP arbeitet mit allen Einrichtungen und Diensten zusammen, die mit Fragen der Prävention, Rehabilitation, Pflege und Hilfen zur Lebensgestaltung befasst sind. Der PSP bietet seit Ende 2023 Fortbildungen für die Mitarbeitenden der Stadt Kassel an und ein »Pflegebegleiter-Projekt« ist hier angedockt.

Beide Beratungsstellen arbeiten eng mit Akteuren, Diensten und Einrichtungen sowie Netzwerken der Altenarbeit und Pflege zusammen. In unterschiedlichsten Kontexten werden Informationsveranstaltungen und Vorträge – teils auch gemeinsam – durchgeführt, bspw. Informationsveranstaltungen im Kassel Service Point in der GALERIA Kassel. Informationsschriften und Broschüren über die in Kassel vorhandenen Angebote werden regelmäßig herausgegeben, u.a. zu Themen Hilfe im Alltag, Wohnen, ambulante Dienste, Tagespflege, Pflegeheime.

Hinsichtlich der zugehenden Beratungsarbeit wird es außerdem eine Verknüpfungsmöglichkeit und ein mobiles Angebot im Kontext des in der Sozialplanung angedockten Projektes »smart age mobil« im Rahmen von »Smart City Kassel« geben. Voraussichtlich ab Sommer 2025 wird das »smart age mobil« vor Ort im Quartier über digitale Themen informieren und Technik zum Ausprobieren in einem dafür angepassten Fahrzeug zur Verfügung stellen.

Demenz-Netzwerk Stadt Kassel

2021 wurde das Demenz-Netzwerk Stadt Kassel gegründet, um das Thema Demenz stärker in die Öffentlichkeit zu tragen, alle relevanten Akteure zu vernetzen und die Stadtgesellschaft für das Thema nachhaltig zu sensibilisieren, bspw. durch das Angebot von Demenz Partner-Schulungen und die Website. Die Koordinierungs- und Servicestelle für das Netzwerk ist im Referat für Altenhilfe angesiedelt. Jährlich, rund um den Welt-Alzheimertag am 21. September, wird gemeinsam mit den beteiligten Netzwerkakteuren die »Woche der Demenz« mit einem vielfältigen Programm durchgeführt.

Ausblick

Das Thema Alter(n) ist und bleibt zukünftig mit strategischen und operativen Querschnittsaufgaben verbunden, die u.a. vielfältige Innovationspotenziale aufweisen. Als Orientierungsrahmen für die mittel- und langfristige Planung, sowie die partizipative Weiterentwicklung der kommunalen Altenhilfe/-planung in Kassel und deren Maßnahmen, werden die Handlungsfelder und Ziele einer altersfreundlichen Stadt (»age friendly city«) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) (vgl. WHO 2020) genutzt, um weiterhin eine selbstbestimmte, gleichberechtigte und mitverantwortliche Teilhabe aller älteren Menschen in der Stadtgesellschaft zu ermöglichen.

Kontakt

Christina Kühnemund
Stadt Kassel – Sozialamt – Sozialplanung – Referat für Altenhilfe
Fünffensterstraße 5
34117 Kassel
E-Mail: Christina.Kuehnemund@kassel.de