2025 Heft 4: Eine Institution stellt sich vor
Gesine Franke & Anna Schmeißer
»Paten für Demenz«
In Deutschland leben derzeit ca. 1,84 Millionen Menschen mit Demenz.[1] Die überwiegende Anzahl dieser Menschen wird im häuslichen Umfeld von Familienangehörigen betreut.[2] Was zunächst als kleine Unterstützung beginnt, kann sich zu einer intensiven Betreuung entwickeln, die spürbare Auswirkungen auf den eigenen Alltag und die Gestaltung der Freizeit hat. Es bleibt immer weniger Zeit, um sich von der Pflege zu erholen oder eigenen Interessen nachzugehen. Zudem erfordert es viel Kraft, sich mit den krankheitsbedingten Veränderungen abzufinden und sich ständig auf neue Situationen einzustellen. Fürsorgliche und liebevolle Zuwendung kann so auf Dauer zu einer Belastungsprobe für die Angehörigen werden. Mit Blick auf die psychosoziale und körperliche Gesundheit von pflegenden Angehörigen ist eine Unterstützung und Ergänzung der familiären Netzwerke dringend notwendig. Durch den §45 SGB XI stehen dafür finanzielle Mittel für niedrigschwellige Betreuungsangebote, getragen unter anderem durch ehrenamtliche Helfer*innen, aus Mitteln der Pflegeversicherung zur Verfügung.
Das Projekt Paten für Demenz des Tausend Taten e.V. möchte den über 2.200 Menschen mit Demenz in Jena[3] sowie deren Familien diese ehrenamtliche Unterstützung ermöglichen und so zur Entlastung im Alltag beitragen. Ausgebildete ehrenamtliche Helfer*innen schenken einem Menschen mit Demenz einige Stunden ihrer Zeit und unterstützen die Betroffenen einmal wöchentlich in deren häuslicher Umgebung. Jede*r Freiwillige betreut dabei im individuellen Kontakt einen Menschen mit Demenz. Als niedrigschwelliges Hilfsangebot sowie Betreuungs- und Entlastungsangebot für Menschen mit Demenz und deren Angehörige sollen dadurch die Lebensqualität von Menschen mit Demenz verbessert sowie familiäre Pflegearrangements unterstützt und ergänzt werden.
Als primäre Zielgruppe richtet sich das Projekt dabei an pflegende Angehörige, die unmittelbar für die Pflege des*der betroffenen Erkrankten zuständig sind und/oder mit diesem*dieser in einem Haushalt leben. Dies sind einerseits Ehepartner*innen, Töchter/Söhne, Enkel*innen, aber auch weitere Verwandte. Pflegende Angehörige befinden sich aufgrund der zumeist ganztägigen Pflege der Betroffenen und herausfordernde Situation, die sich im Zuge der fortschreitenden Erkrankung ergeben, in einer besonderen Belastungssituation. Ihnen soll die ehrenamtliche Unterstützung eine wertvolle, oft dringend notwendige Auszeit vom Pflegealltag bieten, in der die Pflegenden die Möglichkeit erhalten, den eigenen Bedürfnissen gerecht zu werden, ohne in Sorge um das erkrankte Familienmitglied sein zu müssen. Neben Familienmitgliedern können sich auch die (alleinlebenden) Betroffenen selbst an den Verein wenden. Bei ihnen steht zumeist der Wunsch im Vordergrund, sozialen Kontakt aufrecht zu erhalten und so lange wie möglich in der häuslichen Umgebung bleiben zu können. Die ehrenamtliche Unterstützung kann hierbei unterstützend wirken. Angehörige, deren erkranktes Familienmitglied in einer Pflegeeinrichtung lebt und die sich eine Aktivierung oder individuelle Betreuung zusätzlich zum Betreuungsangebot der Einrichtung für ihr Familienmitglied wünschen, stellen eine sekundäre Zielgruppe des Projektes dar. In einigen Fällen kommt es im Laufe der bereits bestehenden Betreuung zu einem Umzug in eine Pflegeeinrichtung – was einer Fortführung der Betreuung nicht im Wege steht. Dennoch stellt es das primäre Ziel dar, Menschen im häuslichen Umfeld zu unterstützen, wenngleich das Angebot selbstverständlich für alle Hilfesuchenden offensteht.
Neben der Entlastung pflegender Angehöriger ermöglicht das Projekt den erkrankten Personen selbst soziale Teilhabe. Die Ehrenamtlichen besuchen die Senior*innen mit Interesse an deren Person, wodurch die Menschen mit Demenz das Gefühl erhalten, trotz ihrer Erkrankung wertgeschätzt zu werden. Die ressourcenorientierten, interessenbezogenen Besuche führen dazu, dass Fähigkeiten aufrechterhalten werden und so Selbstwirksamkeit und Selbstbestimmung erlebt werden. Zudem erfahren die Betroffenen intergenerationalen Austausch, Anregung von anderen Personen als ihren pflegenden Angehörigen und erleben sich damit als wertvollen Teil der Gesellschaft. Darüber hinaus können sich die Ehrenamtlichen durch den sehr individuellen, regelmäßigen Kontakt auf die sehr spezifischen Situationen und die konkreten Bedarfe des besuchten Menschen mit Demenz einstellen.
Am Projekt interessierte potenzielle Ehrenamtliche werden in einem persönlichen Aufnahmegespräch detailliert über das Engagement im Projekt aufgeklärt, beraten und von den Fachkräften auf ihre Eignung hin geprüft. Auswahlkriterien für die freiwilligen Helfer*innen sind insbesondere die Bereitschaft zu einer dem Einsatz vorgelagerten Ausbildung, ein geduldiger Umgang mit Menschen mit Demenz, die Fähigkeit zur Selbstreflexion sowie Motivation und vorhandene Möglichkeiten für ein langfristiges Engagement.
Zur Vorbereitung der Freiwilligen auf das Ehrenamt sowie zur Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Betreuung der erkrankten Menschen werden die Ehrenamtlichen in einem 30-stündigen Qualifizierungskurs geschult. Diese Schulung bietet die Voraussetzung für die Aufnahme des Ehrenamts und ist als Angebot zur Unterstützung Pflegebedürftiger im Alltag nach §24b Abs. 1 Ziffer 4 SGB XI anerkannt. Die Schulungsinhalte umfassen neben der Einführung in das Krankheitsbild Hinweise zur Kommunikation mit Menschen mit Demenz, Wahrnehmungsübungen zu Alter und Demenz, Beschäftigungsmöglichkeiten, Biografiearbeit, aber auch Themen der Selbstfürsorge im Ehrenamt. Darüber hinaus werden die Perspektive der Angehörigen sowie der erkrankten Menschen in den Fokus genommen. Interessierte, die bereits mit dem Thema Demenz in Berührung gekommen sind, können ihr Wissen auffrischen und vertiefen. Menschen, die bisher keine Berührungspunkte mit der Erkrankung hatten, können das nötige Know-how erwerben.
Nach erfolgter Teilnahme am Ausbildungskurs beginnt der Vermittlungsprozess. Aus dem Pool von Freiwilligen wählen die Projektleiter*innen je nach Persönlichkeitsprofil und Unterstützungsbedarf des erkrankten Menschen eine freiwillige Person aus und vermitteln diese passgenau zu einer Familie. Der*Die Projektleiter*in initiiert ein gemeinsames Gespräch mit dem zu Betreuenden und dem*der zukünftigen freiwilligen Helfer*in. Dabei werden die Rahmenbedingungen und Anforderungen an die zukünftige Betreuung sichergestellt. Stimmen die Vorstellungen überein und besteht eine gegenseitige Sympathie, gilt die Vermittlung als gelungen. Künftige Treffen organisiert das Tandem selbstständig.
Um die sehr anspruchsvolle Aufgabe der ehrenamtlichen Begleitung von Menschen mit Demenz qualitativ abzusichern, ist von den Projektleitenden eine intensive und ständige Begleitung des Engagements der Freiwilligen notwendig. Besonders in der Anfangsphase der Besuche sind regelmäßige Kontakte zwischen der Projektleitung und den Freiwilligen sehr wichtig. Einmal im Monat werden zudem Reflexionstreffen unter Moderation der Projektleiter*innen für die ehrenamtlichen Helfer*innen organisiert und moderiert. Mit Aufnahme des Ehrenamtes verpflichten sich die Freiwilligen zur regelmäßigen Teilnahme an diesem Austausch. Diese Termine werden oftmals mit einem Fachthema umrahmt. Den Ehrenamtlichen wird ein geschützter Rahmen geboten, in dem offen und vorurteilsfrei über Erlebnisse, Schwierigkeiten, Sorgen und Ängste in der Betreuung gesprochen werden kann. Den Ehrenamtlichen soll es somit gelingen, sich selbst in ihrem Handeln verstehen zu lernen und im Austausch mit weiteren Demenzpat*innen das eigene Verhalten zu reflektieren. So sollen einer möglichen Überforderung seitens der Ehrenamtlichen frühzeitig begegnet und eventuelle Lösungsstrategien in Anwesenheit der Fachkräfte entwickelt werden. Darüber hinaus wird durch die monatlichen Treffen unter den freiwilligen Helfer*innen ein Netzwerk aufgebaut, aus dem die Freiwilligen auch untereinander gegenseitige Hilfe erfahren können. Zudem werden regelmäßig Weiterbildungen für die Ehrenamtlichen angeboten, die sich konkret an den Bedarfen der Freiwilligen orientieren und eine stetige Weiterqualifizierung sicherstellen.
Da sich die Lebenssituation und damit auch der Betreuungsbedarf von demenziell erkrankten Menschen sehr schnell verändern können, ist ebenfalls ein sehr enger Kontakt zu den Senior*innen und deren Familien unabdingbar. Jederzeit stehen die Projektleitenden auch hier als Ansprechpersonen zur Verfügung, um gegebenenfalls entstehende Probleme und Schwierigkeiten lösen zu können.
Kommunal ist das Projekt »Paten für Demenz« seit Jahren fest in die Strukturen der Altenhilfelandschaft der Stadt Jena verankert. Die konstant hohe Anzahl der Anfragen von Betroffenen und Familien verdeutlicht, wie hoch der Bedarf an Unterstützung tatsächlich ist und welch große Bedeutung das Angebot im gesamten ambulanten Versorgungsnetz hinsichtlich Demenz und Einsamkeit im Alter hat.
[1] Deutsche Alzheimergesellschaft (2024): www.deutsche-alzheimer.de/fileadmin/Alz/pdf/pressemitteilungen/2024_Pressemitteilungen/2024-09-04_pm_dalzg_informationsblatt_haeufigkeiten.pdf
[2] bpb (2024): www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/sozialbericht-2024/553321/pflege
[3] DZNE (2020): www.dzne.de/aktuelles/pressemitteilungen/presse/verteilung-von-menschen-mit-demenz-in-deutschland-studie-zeigt-deutliche-regionale-unterschiede/ Stichtag 31.12.2018; 65 Jahre und älter
Kontakt
Tausend Taten e.V.
Projekt »Paten für Demenz«
Neugasse 19
07743 Jena
demenz@tausendtaten.de
03641/6373954
