Kritischer Zwischenruf zum Themenheft “Dynamiken zwischen jungen Therapeut:innen und älteren Patient:innen”
Gisela Grünewald-Zemsch:
Gibt es auch Methoden, um die psychoanalytische Ausbildung in die Zukunft zu bringen? (Abstract) (PDF)
Diese Frage stellte ich mir, als ich vor kurzem O. Kernbergs (1998) Polemik über die Unterdrückung der Kreativität von Kandidat:innen in der psychoanalytischen Ausbildung las. Kernberg hatte »[d]reißig Methoden« aufgezählt, durch die nach seiner Meinung Kandidat:innen auf dem Weg zu einer eigenen psychoanalytischen Identität behindert würden. Auch heute ist die Frage der Generativität in der psychoanalytischen Ausbildung sehr aktuell.
Ich würde sagen: Vor allem geht es uns heute in den psychoanalytischen Ausbildungsinstituten um die Frage: Wie können wir die Psychoanalyse in die Zukunft bringen? Wie viel muss neu gestaltet werden und vor allem: Wie können wir generativ wirken, also unsere Psychoanalytiker:innen-Nachfolger:innen fördern und unterstützen?
Denn wer in den letzten Jahren in die deutschen und internationalen Fachgesellschaften geschaut hat, merkt: Viele unserer jungen Kolleg:innen »verschwinden«, häufig schnell, nachdem sie ihr Examen am Institut gemacht haben. Manche tauchen später wieder auf. Viele kreative, interessierte Graduierte mit eigenem Kopf und einer Vorstellung von der Zukunft der Psychoanalyse gehen uns verloren, nachdem sie mit deutlichem Aufatmen die Ausbildung abgeschlossen haben und sich nun erst einmal um ihre Karriere, um materielle Sicherheit, vielleicht um ihre eigene Generativität, einen Kinderwunsch, kümmern wollen und garantiert nichts mit dem »alten verknöcherten Haufen« von Analytiker:innen (so drückte es vor Kurzem eine junge Kollegin aus) zu tun haben wollen.
Ein Bericht der Arbeitsgruppe zu institutionellen Themen in der IPA (IITF, 2015) gibt Hinweise auf die Hintergründe: »Todesfurcht«, »Angst ums Überleben« der Psychoanalyse. Im »intergenerationellen Konflikt« erstarrt die ältere Generation infolge dieser Angst, während sich die jüngere Generation schlecht behandelt und »ignoriert« fühlt. Autorität und Autorisierung werden durch Idealisierung und »Grandiosität« ersetzt. Familiäre Analogien und unaufgelöste Strukturen institutioneller Beziehungen erschweren es, eine Organisationsperspektive einzunehmen. Eine misstrauische Haltung der »Alten« gegenüber den »Jungen« entsteht, ebenso wie Skepsis hinsichtlich der Zukunft psychoanalytischer Organisationen.
Die psychoanalytische Ausbildung – besonders ersichtlich in Deutschland – befindet sich stets im Spannungsfeld zwischen Beruf und Identität. Das hängt damit zusammen, dass wir das psychoanalytische »Handwerk« in einer Doppelexistenz ausüben: Wir sind analytische Psychotherapeut:innen, unterliegen damit staatlichen Regelungen und Sinnstiftungen. Zugleich suchen wir eine stabile psychoanalytische Identität, die über die berufliche Identität als Psychotherapeut:in hinausgeht. So kann man mutmaßen, dass das Engagement im Institut manchmal auch der Vergewisserung als Analytiker:in dient – um der eigenen Unkenntlichkeit im beruflichen Getriebe entgegenzuwirken. Eine Abstinenz vom Institut kann dann wiederum Ausdruck der Abwehr jener teilweise schwer erkennbaren institutionellen Konflikte sein, in denen sich das Institut über Generationen hinweg zwischen staatlichem Ausbildungsauftrag und der ursprünglichen Idee psychoanalytischer Generativität »zermahlen« fühlt.
Was tun?
Notwendig ist, dass unsere Institute ernsthaft und offen über ihre institutionelle Aufgabe nachdenken und sich mit ihrer eigenen inhärenten Konflikthaftigkeit beschäftigen. Obwohl Psychoanalytiker:innen einmal als Gruppe von Revolutionären ihren Anfang nahmen, sind wir nun schon lange eine Organisation, an die sich Erwartungen richten – die sich jedoch auch selbst erhalten muss. Die Ausbildung soll zur Stabilisierung der eigenen Identität beitragen, und die Ausbildungsaktivität der Ausbilder:innen dient nicht zuletzt auch der Verarbeitung und Bewältigung der eigenen Ausbildungserfahrungen.
Insoweit ist es extrem wichtig, dass die Institute Räume und Strukturen schaffen, in denen sich junge Psychoanalytiker:innen auch in »horizontalen« Peer- oder Geschwistergruppen bewegen können und deren Impulse mit in die Zukunft genommen werden. Dazu ist es auch nötig, dass Ausbildungsinstitute ihre Kandidat:innen darin unterstützen, andere, vielleicht auch »fremde« Inhalte zu suchen und zu nutzen. Gruppenkonferenzen, die so genannte »vierte Säule« der Ausbildung (Bolognini, 2022), und Bions Überlegungen zur Grundannahmengruppe können helfen, die Hintergründe des eigenen Zustands als Gruppen-Teil der psychoanalytischen Community zu reflektieren.
Die Tätigkeit und Teilnahme als Psychoanalytiker:in in der Ausbildung beinhaltet Entwicklung und Entfaltung der psychoanalytischen Identität in einem individuellen Prozess in Verschränkung mit der Erfahrung, zugleich Teilhabende:r und Fremde:r zu sein: eigen, anders und doch zugehörig. Diese Ambivalenz muss im Rahmen institutioneller Strukturen und sorgfältiger Gruppenerfahrung bearbeitet werden.
Psychoanalytiker:in zu sein, ist im wesentlichen karriereuntauglich. Die intensiven Momente unserer Tätigkeit erleben wir alleine – und können, wenn überhaupt, erst »danach« davon erzählen. Das führt dazu, dass wir häufig ein rigides, analytisches Über-Ich entwickeln, gespeist aus Ängsten vor Gesichts- und Reputationsverlust sowie Entwertung. Dem wird nicht selten mit dem Aufrichten einer autoritären und zugleich idealisierten Vorstellung von Psychoanalyse begegnet, was wiederum zu selbstdestruktiven Tendenzen in Instituten führen kann.
Es geht nicht darum, solche Tendenzen zu leugnen – im Sinne von: Das darf uns nicht passieren. Vielmehr gilt es, sie zum Thema zu machen und unser psychoanalytisches Handwerkszeug vor allem zum Verstehen der gruppendynamischen-, organisations- und historisch-biografischen Quellen unserer psychoanalytischen Entwicklung zu nutzen.
Helfen kann auch, dass DPV und DPG aktuell ein Forschungsprojekt entwickelt haben (in Kooperation mit zwei amerikanischen Forschergruppen, Cherry et.al. und Schneider et.al.), das solche Dynamiken im Zusammenhang von Generativität und institutionellem Wandel im Ausbildungskontext untersucht (Brosig und Grünewald-Zemsch, in Vorbereitung). Die Reaktionen auf unsere Arbeit spiegeln genau jene Ambivalenzen wider, die wir auch institutionell beschreiben: Offenheit trifft auf schwer greifbare Hemmung, Unterstützung auf subtile Idealisierung.
Literatur:
Bolognini, S. (2022). Gedanken zur institutionellen Familie des Analytikers und der Vorschlag für eine »vierte Säule« in der Ausbildung. In G. Junkers (Hrsg.), Psychoanalyse leben und bewahren (S.119–140). Psychosozial-Verlag.
Brosig, B. & Grünewald-Zemsch, G. (in Vorbereitung). Von der Graduierung zur aktiven Mitgliedschaft [Unveröffentlichtes Forschungsprojekt]. Deutsche Psychoanalytische Vereinigung/Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft.
Cherry, S., Meyer, J., Hagde, L. et.al. (2012). A prospective study of psychoanalytical practice and professional development: Early career interviews. Journal of the American Psychoanalytic Association, 60(5), 969–994.
Institutional Issues Task Force (IITF) (2015). Arbeitsgruppe zu institutionellen Themen – Arbeitsbericht.
Kernberg, O. F. (1998). Dreißig Methoden zur Unterdrückung der Kreativität von Kandidaten der Psychoanalyse. Psyche, 52(3), 199–213.
Schneider, J., Wilkerson, D., Solomon, B. et.al. (2014). Psychoanalytic training experience and postgraduate professional development: A survey of six decades of graduate analysts. International Journal of Psychoanalysis, 95, 1211–1233.
Kontakt
Dr. phil., Dipl.-Psych. Gisela Grünewald-Zemsch
Adolf-Braun-Str.45
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E-Mail: gisela.zemsch@t-online.de
