Reflexionen zum Titelbild von Markus Hagen und Bertram von der Stein

Bertram von der Stein (Köln)

Resilienz kann als die Fähigkeit gesehen werden, Möglichkeiten zu erkennen und Chancen wahrzunehmen, auch in abträglich erscheinenden Situationen. Dazu ist es nötig, Unveränderliches zu akzeptieren und Mögliches zu verändern.

Die Stichworte »Resilienz« und »Alter« lösten bei mir im Sinne der eidetischen Reduktion (Held 1985), in der das Wesen eines Begriffes vereinfacht visuell erscheint, spontane Bilder aus: Hammer, Amboss, ein biegsamer Zweig und ein Schirm. Ungeformt und naiv dachte ich Amboss für Wiederstandfähigkeit gegen Schläge und Schicksalsschläge, der biegsame Zweig für Flexibilität und Umstellungsfähigkeit, der Schirm als Symbol des Schutzes und der Abwehr. Ich bat daraufhin meinen Schwager, Markus Hagen, aus im Internet freigegebenen Fotos ein Titelbild zu kreieren. Dieses entstand dann in einer gemeinsamen Sitzung mittels TeamViewer: Mit Geschicklichkeit und künstlerischem Gespür stellte Markus Hagen verschiedene Symbole zusammen.

Während unseres einstündigen spielerischen und assoziativen Dialogs tauschten wir viele Gedanken zum Thema Resilienz und Alter aus. Dazu gehörte u.a. die extreme Widerstandsfähigkeit mancher Holocaust-Überlebender, und deren Würdigung, wie z.B. Margot Friedländer mit 103 Jahren. Die Idee meines Schwagers, den Schirm zu durchlöchern, Regentropfen und Pfützen darzustellen, machte deutlich, dass es ideale Schutzbedingungen nicht gibt. Schon die Siegfriedsage hat dies zum Thema. Damit kommt man automatisch zur Konzepten der genügend guten Entwicklung (Winnicott 2002 [1965]), den unvermeidlichen Defiziten in frühen Bindungen (Bowlby 1976) und den Blessuren auf dem Weg durch das Tal der Mängel des Lebens. Dieser existenzielle Aspekt hat auch frühere Generationen zu Gedanken um Resilienz inspiriert. In Luthers Lied Eine feste Burg (1529) und in Mariendarstellungen mit Schutzmantel und Schirm kommt dies zum Ausdruck. Im Gegensatz zu autonomiebetonten Konzepten der Gegenwart war der frühere Umgang mit resilienzassoziierten Themen in ein geschlossenes religiöses Weltbild integriert. Auch heute noch wird der resilienzfördernde Aspekt der Religion gewürdigt (Hillebrand et al. 2023, 46).

Weitere Assoziationen bezogen sich konkret auf die Vulnerabilität und Resilienz alter Menschen. Der populistische Spruch von Joachim Fuchsberger »Alt werden ist nichts für Feiglinge« (Fuchsberger 2010) und die differenzierten Betrachtungen unseres 100-jährigen Kollegen Helmut Luft (2003, 2013) zu Verlusten und Chancen des hohen Alters seien erwähnt. Dazu gehören Verluste wichtiger Bezugspersonen, körperliche Gebrechen, Bedeutungsverluste (verwelkter Lorbeerkranz) und verringerte Bestätigungsmöglichkeiten. Zuweilen ist in Alltagsgesprächen zur resilienzbasierten Altersbewältigung eine bedenkliche Tendenz zum Sozialdarwinismus, zur Heldenverehrung und zur Selbstoptimierung zu erkennen. Das Überleben des vermeintlich Stärkeren, die vermeintliche Überlegenheit sehr alt gewordener Menschen und das Postulat »forever young« sind Irrwege, die viele Ältere, deren Resilienz durch zunehmende Gebrechen und Verluste herausgefordert ist, unter Druck setzen. Eine solche Haltung ist generell für Menschen, die eine Lebensbilanz ziehen, schädlich, da sie biografische Faktoren, die sich resilienzmindernd auswirken, unberücksichtigt lässt, wie unsichere Bindungen, eingeschränkte kognitive Fähigkeiten, eingeschränkte Affektregulation und defizitorientiertes Denken. Im Alter fließen oft akute Belastungen und Traumata mit frühen Verletzungen zu einem schwer behandelbaren Symptomkonglomerat zusammen. Dabei ist es wenig hilfreich, mit guten Ratschlägen auf die grandiosen Leuchttürme einer optimalen Altersverwirklichung hinzuweisen. Damit werden resignative Wiederholungszwänge aus frühen Ohnmachtserfahrungen und negative Kognitionen verstärkt. Konkret sei an repressive Erziehungsmethoden, denen viele Ältere ausgesetzt waren, erinnert: Eltern rückten Geschwister oder Kinder aus der Verwandtschaft oder Nachbarschaft als fragwürdige Vorbilder in einen für Betroffene selbstwertmindernden Glorienschein.

Ein therapeutisch sensibel angewandtes Resilienzkonzept hilft älteren Menschen, ihre realistischen Chancen zu nutzen, wie beim flexiblen Setzen der Segel bei wechselhaftem Wind (A.K. Risch, persönliche Mitteilung). Diese vielfachen Prozesse und Aspekte der Resilienz gilt es zu untersuchen und auszuwerten. So kommt man von der Grobsymbolik flüchtiger eidetischer Bilder zur Psychotherapie und Wissenschaft – ein nötiger Sprung vom Primär- zum Sekundärprozess.

Literatur

Bowlby J (1976) Trennung. München (Kindler).

Fuchsberger J (2010) Altwerden ist nichts für Feiglinge. Gütersloh (Gütersloher Verlagshaus).

Held K (1985) Einführung. In: Husserl E (Hg) Die phänomenologische Methode. Ausgewählte Texte I. Stuttgart (Reclam).

Hillebrand C, Pollak D (2023) Religiöse und spirituelle Ressourcen, Deutungsmuster und Bewältigungsstrategien. In: Hillebrand C, Pollak D, El-Menuar Y (Hg) Religionen als Ressource der Krisenbewältigung. Analysen am Beispiel der Coronapandemie. Gütersloh (Bertelsmannstiftung) 15–46.

Luft H (2003) Psychoanalyse in reiferen Jahren. Psyche 57(7): 585–611.

Luft H (2013) Höheres Alter – Bedrängnisse und kreative Antworten. Psyche 67(7): 597–622.

Luther M (1529) Ein feste Burg ist unser Gott. Evangelisches Gesangsbuch Nr. 362.

Winnicott DW (2002 [1965]) Reifungsprozesse und fördernde Umwelt. Studien zur Theorie der emotionalen Entwicklung. Gießen (Psychosozial-Verlag).

Kontakt

Prof. Dr.med. Bertram von der Stein
Quettinghofstr. 10a
50769 Köln
E-Mail: Dr.von.der.Stein@netcologne.de

Resilienz – Von der Grobsymbolik zu therapeutischen und wissenschaftlichen Aufgaben.

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