Zum Titelbild von Markus Hagen, KI-generiert mit dem Programm Perplexity
Bertram von der Stein (Köln)
Das Thema »jüngere Therapeuten und ältere Patienten« ließ die Idee aufkommen, den alten Freud als Rübezahl im Mönchsgewand auf die Couch zu legen und ihn in die Obhut einer jungen Therapeutin zu geben. In diesem Bild verdichten sich zahlreiche Aspekte der Psychotherapie im Alter: Die umgekehrte Übertragung zwischen Jung und Alt (Radebold, 1992), Freud als Zeitzeuge des 19. und 20. Jahrhundert, des Ersten und Zweiten Weltkrieges und des Holocausts; Rübezahl, die Identifikationsfigur der Schlesier, stellvertretend für den verlorenen deutschen Osten und für Flucht und Vertreibung. Rübezahls historischen Wurzeln sind im kollektiven Unbewussten vieler Generationen verankert jenseits einengender Vorstellungen von Abstammung und Nationalstaaten. Damit ist der historische Rahmen von transgenerationalen Begegnungen in Deutschland angedeutet, dessen Spektrum von allgemeinen und zeitübergreifenden Dimensionen bestimmt wird: Der Zeitlosigkeit der Libido, Übertragungs- und Gegenübertragungsliebe, Geschlechterspannungen, Autoritäts- und Ablösungskonflikte, intersubjektive Verwicklungen, und zahlreiche Spiegeleffekte zwischen Patienten und Therapeuten auf ihrem Weg durch die Lebensepochen mit ihren teils repetitiven Konflikten und Entwicklungsaufgaben (Erikson, 1982). Dazu gehört auch die lebenslang notwendige Bereitschaft von Therapeuten zur Selbstreflexion, wie Freud sie auch gerade mit seinen eigenen Schwierigkeiten mit dem eigenen Altern (Anzieu, 1990; Schur, 1973) vorexerziert hat. Zur transgenerationalen Sicht auf das Altern, auf künstliche Intelligenz und virtuelle Welten fand ich die Rübezahlsage passend:
Rübezahl, der alte schlesische Berggeist, verliebte sich in die junge schöne Königstochter Emma. Schließlich verwandelte er sich in einen jungen attraktiven Mann und entführte sie in seine Unterwelt. Dort zauberte er einen Palast und gab ihr einen Korb frischer Möhren, die die Prinzessin in ihre Gefährtinnen verwandeln konnte. So wollte er sie bei Laune halten und ihr ermöglichen, ihre bisherige Umgebung virtuell in ihrem Gefängnis unter dem Riesengebirge erstehen zu lassen. Da er allerdings nicht über die Allmacht Gottes und der Natur verfügte, alterten die virtuellen Gefährtinnen so schnell wie die Möhren verschrumpelten: Sie wurden zu hinfälligen Greisinnen. Mit dem Alter wollte Emma jedoch nichts zu tun haben. Durch zahlreiche Listen und Befreiungsversuche gelang es der Prinzessin schließlich, aus ihrem Gefängnis zu entfliehen und mit ihrem realen Bräutigam, dem Prinzen von Ratibor, zusammenzukommen. Rübezahl, erbost über ihre Flucht und seine Ohnmacht, riss daraufhin mit Blitz und Donner ein großes Loch in die Welt und verschwand.
Diese kurz skizzierte Sage reflektiert sowohl die Vergänglichkeit des Menschen im Lebenszyklus, die Angst vor dem Alter und dessen Verleugnung als auch unbefriedigende Pseudorealitäten.
Markus Hagen, als Elektroingenieur KI-affiner als ich, ließ ausgehend von einigen Stichworten mittels KI (Perplexity) ein Titelbild erstellen, das meinen Assoziationen entsprach. Darüber war ich einerseits erstaunt und erfreut, spürte anderseits aber auch Unbehagen darüber, wie schnell das Bild entstanden war. Selbstgemalt wären viele Stunden vergangen, ohne dass das Ergebnis diese Qualität erreicht hätte. Bei mir kam sogar ein transgenerationales Schuldgefühl, anmaßend zu werden, auf. Die Gefahr der Anmaßung besteht meines Erachtens darin, dass die KI dem Benutzer Fähigkeiten zur Verfügung stellt, die er in Wirklichkeit nicht hat. Mein verstorbener Vater hatte in der Adoleszenz, offenbar angestoßen durch das Vorbild Rembrands, mit Selbstportraits experimentiert, indem er diese im Stil vergangener Kunstepochen malte. Dabei erwarb er sich mit verschiedenen Materialien eine erstaunliche Perfektion, vor der ich immer großen Respekt hatte, zumal mir selbst die nötigen Materialerfahrungen fehlen.
KI subsumiert Erfahrungen vergangener Generationen und setzt nach Stichworten diese in einer erstaunlichen Perfektion um. Dass man mit einigen Stichworten und Klicks das erreichen kann, wofür vorangehende Generationen ein ganzes Leben an Erfahrung einbrachten, verführt zu Oberflächlichkeit, indem mühsame Lernprozesse übersprungen werden und intensivere eigene Erfahrungen ausbleiben. Der kreative Akt oder die initiale Idee müssen immer noch vom Autor herkommen, die Umsetzung erfolgt dann mithilfe von KI. Ansonsten kommt es zu standardisierten Ergebnissen, ohne individuelle Note.
Das Spannungsfeld von Alt und Jung in Therapien ist bekannt und zeitlos. Hier sei nur zugespitzt angedeutet, wie KI, überschätzt und missbräuchlich angewendet, die Berufswelt künftiger Therapeutinnen und Therapeuten beeinflussen könnte: Man könnte z.B. Therapiesituationen eingeben und Diagnostik und Therapie mit Interventionsmöglichkeiten der KI überlassen. Ein Therapieautomat kann dann passend zu einem zentralen Beziehungskonflikt jeweils mit den Kategorien der eingegebenen Psychotherapieschulen reagieren. Dann brauchen sich wenig konzeptuell denkende Therapeuten im Antrag mit der Psychodynamik nicht mehr den Kopf zerbrechen. Fehlende psychohistorische Kompetenz könnte durch KI-generiertes Geschichtswissen kompensiert werden, perfekter in der Vollständigkeit, als der fähigste Historiker in der Lage wäre. All dies könnte oberflächlich betrachtet sowohl Personalprobleme lösen als auch langwierige psychotherapeutische Ausbildungen überflüssig machen.
Neue Möglichkeiten wie KI produzieren für Jung und Alt sowohl Hoffnungen als auch Ängste. Menschen reagieren unterschiedlich, aber eine Haltung der Offenheit scheint angebracht. Als Fazit für Alt und Jung ist aus der Rübezahlsage Folgendes zu ziehen: Liebe, Empathie und Kreativität ist nicht durch Zauberei oder Maschinen zu ersetzen. Wohl aber kann KI über Generationen gewonnene Erfahrungswerte übersummenhaft einbringen und könnte damit sogar perfekter als reale Menschen werden, sofern sie zuvor von Menschen entsprechend »gefüttert« wurde. KI wird im Spannungsfeld von Anmaßung und Demut auch großen Einfluss auf die künftige Psychotherapie haben, nicht nur auf die Psychotherapie mit Älteren.
Literatur
Anzieu, D. (1990). Freuds Selbstanalyse. Klett-Cotta, Verlag Internationale Analyse.
Erikson, E.H. (1992). The life circle completed. Norton.
Musäus, J.K.A. (1762, 2022). Legende von Rübezahl. Volksmärchen der Deutschen. Ettinger 1762., Reprint Alfa-Veda-Verlag 2022.
Radebold, H. (1992). Psychosomatik und Psychotherapie Älterer. Springer.
Schur, M. (1973). Sigmund Freud: Leben und Sterben. Suhrkamp.
Kontakt
Prof. Dr. Bertram von der Stein
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